Deutschland im Völkerbund gut aufgenommen

Die Beteiligten hatten keineswegs nur edle Motive

Die Atmosphäre in Genf hätte für die kleine Delegation der deutschen Regierung kaum freundlicher sein können. Als Deutschland in den Völkerbund eintrat, wurden seine Abgesandten, an ihrer Spitze der Außenminister Gustav Stresemann, bei schönstem Spätsommerwetter herzlich empfangen. Mit stürmischem Beifall begrüßte die Völkerbundsversammlung, die in der schweizerischen Stadt tagte, am Morgen des 10. September 1926 die deutsche Delegation bei ihrem Einzug ins Plenum. Unmittelbar zuvor, um 10.35 Uhr, war dort der formelle Beschluß über die Aufnahme des neuen Mitgliedes verkündet worden. Der im Ersten Weltkrieg unterlegene Staat gehörte nun der großen internationalen Organisation an, die von den Siegermächten auf der Versailler Friedenskonferenz gegründet wurde, - um den Krieg als ein Mittel der Politik überflüssig zu machen.

Dem feierlichen Aufnahmeakt waren monatelange politische Auseinandersetzungen um den Beitritt Deutschlands vorausgegangen. Zwar hatte Stresemann bereits im Oktober 1925 mit dem Abschluß der sogenannten Locarno-Verträge die Isolierung Deutschlands in Nachkriegseuropa durchbrochen, dennoch verzögerte sich die Einbeziehung in die Genfer Liga. Ausschlaggebend dafür waren in erster Linie Statusfragen. Im März 1926 scheiterte die Aufnahme Deutschlands an der Nichteinigung über die Besetzung des Völkerbundsrates. Die deutsche Regierung hatte Anspruch auf einen ständigen Sitz in diesem Gremium erhoben, der ihr auch eingeräumt werden sollte. Dieses Zugeständnis verlangten dann aber ebenso andere Staaten: Polen, Spanien und Brasilien. Wünsche, die für die deutschen Verhandlungspartner indiskutabel waren, sie sahen darin eine Abwertung ihrer eigenen Position. Da kurzfristig kein Kompromiß gefunden wurde, vertagte die Völkerbundsversammlung das Problem auf ihre nächste Sitzung im September 1926. Zur Lösung des Prestigekampfes wurden drei "halbständige" Sitze eingerichtet.

Das Scheitern der Aufnahmeverhandlungen im März 1926 hatte in weiten Kreisen ernste Besorgnisse ausgelöst. In einem Bericht an die Carnegie-Friedensstiftung in New York orakelte der linksbürgerliche pazifistische Politiker Hellmut von Gerlach: "Die ganze europäische Lage hängt vom Ausgang der Septembersitzung des Völkerbunds ab. Wenn Deutschland dann aufgenommen wird, wird die unmittelbare Folge eine wirkungsvolle Befriedung Europas sein. Wenn wie im März ein neuer Stillstand eintritt, dann droht Europa ein chaotischer Zustand."

Besonders Großbritannien forcierte eine Einbeziehung Deutschlands in die Organisation, geleitet weniger von großartigen Friedensidealen, denn von nationalen Erwägungen. Es erhoffte sich davon eine Begrenzung des französischen Einflusses im Völkerbund, der allgemein überwiegend als ein Mittel zur Verfolgung und Durchsetzung der eigenen machtpolitischen Ziele gesehen wurde. Auch von der deutschen Regierung, die mit ihrem Beitritt in den Völkerbund keineswegs die Aufgabe ihres Anspruches auf eine Revision des Versailler Vertrages von 1919 verband. In einen Brief an den Kronprinzen Wilhelm vom 7. September 1925 erläuterte Stresemann freimütig, wie er die Mitgliedschaft Deutschlands auszuspielen gedachte. "Zudem sind alle die Fragen, die dem deutschen Volk auf dem Herzen brennen, z. B. Fragen der Kriegsschuld, allgemeine Abrüstung, Danzig, Saargebiet etc. Angelegenheiten des Völkerbunds, die durch einen geschickten Redner im Plenum des Völkerbunds zu ebenso vielen Unannehmlichkeiten für die Entente werden können." Weiterhin war für ihn eine "große Aufgabe" der deutschen Außenpolitik "die Korrektur der Ostgrenzen: die Wiedergewinnung von Danzig, vom polnischen Korridor und eine Korrektur der Grenze in Oberschlesien". Als das "Wichtigste" der deutschen Politik bezeichnete Stresemann in dem Brief an den Kronprinzen jedoch "das Freiwerden deutschen Landes von fremder Besatzung". "Wir müssen den Würger (gemeint ist Frankreich) erst vom Halse haben. Deshalb wird die deutsche Politik, wie Metternich von Österreich wohl nach 1809 sagte, in dieser Beziehung zunächst darin bestehen müssen, zu finassieren und den großen Entscheidungen auszuweichen." Mit diesem politischen Credo ließ sich der Beitritt in den Völkerbund durchaus vereinbaren.

Im Deutschen Reich wurde die Mitgliedschaft überwiegend positiv beurteilt. Die Gegner befanden sich an den Rändern des politischen Spektrums. Da die Sowjetunion dem Völkerbund nicht angehörte, lehnten ihn die deutschen Kommunisten ab. Widerstand kam auch von den extremen Rechten, die einen nationalen Verrat witterten. Mit der pazifistischen Völkerbundsidee schien ihnen der Kampf gegen das "Diktat" von Versailles nicht vereinbar zu sein. Die bedeutende Deutschnationale Volkspartei hatte zwar lange gegen den Beitritt in den Völkerbund gekämpft, hielt sich aber in der letzten Verhandlungsphase mit öffentlicher Kritik zurück. Den neuen Kurs bestimmte vor allem die Großindustrie, die für den wirtschaftlichen Wiederaufbau stabile innen- und außenpolitische Verhältnisse brauchte.

Der Rolle als Friedensgarant wurde der Völkerbund jedoch nicht gerecht. Es schmälerte seine Bedeutung besonders, daß die USA ihm nicht angehörten, obwohl ihr Präsident Woodrow Wilson zu seinen maßgeblichen Initiatoren zählt, und daß auch die Sowjetunion erst spät (1934) eintrat.

Deutschland kündigte seine Mitgliedschaft nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" am 14. Oktober 1933 auf.

Astrid Brand, 1986
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